Vorwort

Sie emigrierten nicht, fliehen mussten sie
– Leseprobe –

Sanary-sur-Mer in der Provence ist ein attraktiver Urlaubsort zwischen Marseille und Toulon. Im Sommer lockt das Meer, im Winter das milde Klima. Seine besondere Geschichte ist dem ehemaligen Fischerort nicht anzumerken. Doch in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts galt Sanary als die „Hauptstadt des künstlerischen und literarischen Exils“. Eine Gedenktafel am Hafen erinnert seit 1987 an namhafte Deutsche und Öster­reicher, die nach der Machtergreifung Hitlers Zuflucht in Sanary und Umgebung gefunden hatten. 25 Jahre später wurde eine zweite Gedenktafel errichtet mit nunmehr 68 statt 36 Namen. Sie wurde zum Auslöser für dieses Buch.

Mit dem Ziel, sie vor dem Vergessen zu bewahren, werden die Lebensgeschichten dieser 68 Menschen erzählt. Dies beginnt jeweils mit einer Kurzbiographie. Es folgt ein fiktiver Text, dem oft ein reales Erlebnis aus dem Exil zu Grunde liegt. Abschlie­ßend wird über den weiteren Lebensverlauf und die wichtigs­ten Werke informiert. Entstanden sind sehr abwechslungsrei­che literarische Texte. Je nach geschilderter Situation variieren die Erzählformen. In Gesprächen, Träumen, inneren Monologen oder Briefen kommen die Gedanken zum Ausdruck, die Men­schen in der Fremde belasten. Damals – wie heute.

Wir folgen der alphabetischen Anordnung der Namen auf der Gedenktafel bewusst nicht, um die Entwicklungen in Sanary aufzuzeigen. Während es sich anfangs noch vergleichsweise an­genehm an der Côte d´Azur leben ließ, verschlimmerte sich mit Kriegsbeginn die Lage der Deutschen und Österreicher. Sie gal­ten nun als feindliche Ausländer und wurden interniert. Nach der militärischen Niederlage Frankreichs ging es für die von Auslieferung Bedrohten und für Juden nur noch um das Überle­ben. Selbst wenn sie konvertiert waren, schwebten sie in Le­bensgefahr. Aus diesem Grund wird die jüdische Herkunft in den Kurzbiographien erwähnt.

Aufgrund der chronologisch sortierten Erzählungen bietet es sich an, die Kapitel nacheinander zu lesen, sie sind aber prinzi­piell in sich geschlossen. Jedoch tauchen markante Gebäude wie auch einige Personen mehrfach auf, vergleichbar einem roten Faden, der Einzelteile miteinander verbindet.

Die meisten der 68 Flüchtlinge konnten weiter in die USA oder andere Länder fliehen. Das verdankten sie einerseits ihrem Be­kanntheitsgrad und andererseits dem 1940 gegründeten Emergency Rescue Committee unter der Leitung von Varian Fry.

Sonst hätte auch sie das Schicksal all derer ereilt, die in die Ver­nichtungslager deportiert wurden.

Andrea Schultz und Guenter Schmidt, Berlin im Dezember 2018

Zurück zu LESEPROBEN